Am Emscherstrand

CD, 1994

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Playlist

Nimm den Toaster vom Boden
Küsse am Kohlenhafen
Um Eins bei Heinz
Dicke sind auch Menschen
Muselmanns Spuren
He He He
Veterano
Picknick am Kanal
Kalumet
Böse Brut Marsch
Nichtsdestowenigertrotz
Schorsch, der Unheimliche
The Circle
Bup teh Buuh
Die letzte Schicht

 

 

lebensnah und sinnenfroh

Sie haben keine Angst, den Leuten in die Gehörgänge und mit ihrer Musik auch in die Glieder zu fahren. Sie greifen in den unerschöpflichen Fundus von Jazz, Volks- und Kunstmusik, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, ob ihre Musik von den Linienrichtern des Kulturbetriebs als stil- und astrein angehört wird. Sie pfeiffen drauf und machen sich auf den Gang der Geschichte ihre eigenen Melodien. Und sie machen Mut, spielen für Bürgerinitiativen ebenso wie für Jazzfestivals, in Vollzugsanstalten mit gleicher Selbstverständlichkeit wie in großen Konzertsälen. Ob Straße oder Opernhaus – schwarz / rot Atemgold 09 nimmt musikalisch kein Blatt vor den Mund und weiß mit dem Notenblatt so souverän umzugehen, daß das Aufgeschriebene im Prozeß des spontanen Musizierens allenfalls als Anhaltspunkt für die atemberaubenden Höhenflüge dient.

 

Von überall her kommen die Anregungen: aus den Traditionen der Big-Bands amerikanischen Zuschnitts mehr noch denen der Blaskapellen des Ruhrgebiets, aus dem Free Jazz, dem Erbe der New-Orleans-Brassbands, dem Schunkellied der Kneipe von nebenan, dem Multi-Kulti-Gemisch der Großstädte, aus Krimi, Sport und Tagesschau. schwarz / rot Atemgold 09 überrascht mit musikalischen Collagen, ohne in die Trickkiste der Elektronik greifen zu müssen. Die Band jongliert mit Erfindungen und Fundstücken, spielt zuweilen auch mit Klischees, aber bricht diese zugleich auf und reflektiert sie kritisch. Im Wechsel der Tempi und Tonarten prallen Welten aufeinander, ohne sich gegenseitig in die Luft zu jagen.

 

Die Band beharrt auf der Tugend, nicht an den Ohren der Leute vorbeispielen zu wollen, verwechselt das aber auch nicht mit der Unsitte des Anbiederns. Die unbändige Lust zu spielen steht dem Verstand nicht im Wege, sondern verbindet sich mit diesem. Da wird Stimmungsmusik in ihre Teile zerpflückt und den Zeitgenossen schon mal ein schräger Marsch geblasen. Andererseits gibt es fast liebevoll zu nennende Reminiszenzen an Musik, die sich mit Zirkus und Kneipen, Jahrmarkt und Laubenpieperfesten assoziieren lassen. Doch die Musikerinnen und Musiker dieser Kapelle sind weder Nostalgiker noch auf Neuton versessene Materialfetischisten. Sie verbinden den Rückgriff immer mit einem Avanti und steigern selbst volksliedhafte Einfachheit zuweilen zu Arrangements von ausgekochter Raffiniertheit. Dabei ist alles selbstgemacht, selbst geschrieben und selbst gespielt.

 

Dies nur, falls jemand auf den Gedanken käme, hier wären ausgeborgte Stars als Solisten am Werke. Die Tuba-Tieftonforschung paßt ebenso ins Konzept wie die swingenden Saxophoneskapaden oder der sentimentale Abgesang auf der Trompete.

 

Vor allem aber: schwarz / rot Atemgold 09 spielt Kollektiv-Musik. Im weitesten Sinne dem holländischen Willem Breuker Kollektief verwandt, mit dem die Band auch schon zusammengearbeitet hat, geht es um Drive, Druck und Spielfreude. Und um Aufbruch. „Emscherstrand“, übrigens ein zubetoniertes Bett für die Abwässer des Ruhrgebietes, steht dafür als ein Bild. Blasmusik – historische Parallelen sind nicht rein zufällig – bricht Beton.

 

Bert Noglik